Die Baureihe 420 - Olympiasieger im Massentransport
Nach den XX. Olympischen Sommerspielen 1972 in München blieben den Menschen einige Namen im Gedächtnis, die sie bis heute mit Hochleistungen verbinden: So z.B. Ulrike Meyfarth, Mark Spitz, Heide Rosendahl, Die Münchner S-Bahn und Kurt Edelhagen.
Sie alle liefen in jenen Tagen zur Höchstform auf und waren in ihren Disziplinen unschlagbar! Während Ulrike Meyfarth höher und Heide Rosendahl weiter als jede Frau sprangen, quirlte Mark Spitz durch das Schwimmbecken zu sieben Goldmedaillen. Dagegen dirigierte sich Kurt Edelhagen zum Einzug der Nationen während der Eröffnungszeremonie vor der Weltöffentlichkeit beinahe einen Wolf. Während dessen, Abseits der Aschenbahn und außerhalb des Blickfeldes der Kameras, spurteten die nagelneuen Triebzüge der Baureihe 420/421 (Nachfolgend als 420 bezeichnet) von Station zu Station um so viele Menschen wie möglich zu den Brennpunkten des Geschehens zu bringen.
Während die meisten Protagonisten zumeist nur an einen der Wettkampftage zwischen dem 26. August und dem 11. September für ihre Disziplin aufliefen, fiel der Startschuss für die 120 Triebwagen der Münchner S-Bahn an jedem Morgen auf das Neue. Ihre Leistungen beeindruckte eine Millionenschar an Besuchern aus Nah und Fern. Das Lob über die "am besten organisierten Spiele aller Zeiten" schloss in den Lobeshymnen der lokalen, wie auch internationalen Presse stets das Verkehrssystem mit ein. Mit dabei wiederum: Natürlich die S-Bahn!
Ohne Schweiß kein Preis - Die Vorbereitungen
Die 20. Olympischen Spiele der Neuzeit sollten die "Spiele der kurzen Wege" werden. Diese Vorgabe konnte jedoch weder für den Marathonlauf gelten, der auch 1972 über genau 42,195 km gehen sollte, wie auch nicht für die zahlreichen Besucher des Ereignisses die bis zu 100km Anfahrt von ihren Herbergen zurück zulegen hatten. Das Schlagwort bezog sich auf das Olympiagelände, welches auf dem brachliegenden Oberwiesenfeld seine Heimat fand. Die meisten Wettkampfstätten sollten in diesem Bereich zusammengefasst werden, inklusive Olympisches Dorf und Medienstadt. Damit liefen auch die zu erwartenden Verkehrsströme auf diesen Ort im Münchner Norden zu. Neben dem Mittleren Ring (der für den olympischen Stau geschaffen wurde) und der U-Bahn sollte die S-Bahn einen gewichtigen Anteil bei der Bewältigung dieser Aufgabe tragen.
Als am Tag der feierlichen Eröffnung der Olympischen Spiele, dem 26.August 1972, die kieselgrau-blau glänzenden S-Bahnfahrzeuge bereit standen, waren schon einige Entscheidungen in den Disziplinen "Infrastruktur","Nahverkehr" und "Verkehrssystem" gefallen. "Gold" gingen nach übereinstimmender Meinung der fachkundigen Jury an die U-Bahn (Zieleinlauf: 19.10.71) und die S-Bahn mit dem Stammstreckentunnel unter der Münchner City (Zieleinlauf: 28.04.72).
Natürlich auch, da beide zusammen ein knapp 350 km großes S-und U-Bahn-Netz bildeten. Zu guter letzt war natürlich auch der allumfassende Münchner Verkehrs- und Tarifverbund zu ehren (Zieleinlauf: 28.05.72).
Damit konnte die Jugend der Welt nun anreisen und gleich getrost deren Verwandtschaft mitbringen.
Bereits seit 1969 lief sich aber noch ein weiterer Heißsporn warm, der bald zeigen sollte was er zu leisten im Stande ist. Wie der Olympiasieger 1972 im Speerwerfen, Klaus Wolfermann, so musste auch die Deutsche Bundesbahn sich lange vor dem Entscheidungstag für ihren "großen Wurf" vorbereiten. Der Traininigsplan für die DB und die Fahrzeugindustrie sah folgendermaßen aus: Gesucht war ein spurtstarker, schneller, starker und zuverlässiger Triebzug für den Massentransport - und das nicht nur zu Olympischen Spielen. Die Meßlatte war damit schon so hoch gelegt worden, das selbst eine Ulrike Meyfarth da geschluckt hätte.
Die Spurt-Hoffnung der Bundesbahn: Der 420
Der neue Olympionike auf 1435mm Spurweite nannte sich zu Beginn "ET20" und brauchte für seine Leistungen kein Doping, außer ganz legale 15.000 Volt Wechselstrom bei 16 2/3 Hz.
Seine Werte ließen wohl auch die "Train"ingsspezialisten aus dem Ostblock erblassen:
Mit einer Beschleunigung von bis zu 1,0m˛ kommt der 420 aus dem Startblock. In 43 Sekunden hat er bereits seine Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h erreicht, was einer Reisebeschleunigung von 0,9m˛ entspricht. Da drückt es selbst den stärksten Kugelstoßer in die Kunststoffpolster. Und 194 Freunde kann dieser zu einer Probefahrt einladen, wenn jeder noch einen Sitzplatz in einer aus drei Wagen bestehenden Einheit bekommen soll. Kommen mehr Gäste als erwartet zur Spritztour - kein Problem: 400 Sportskameraden können insgesamt mitgenommen werden. Reicht das immer noch nicht, ist das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht: Die automatische Scharfenbergkupplung ermöglicht einen schnellen Zusammenschluss von insgesamt 3 Einheiten (Langzug). Die Baureihe 420: Klarer Sieger im modernen HVZ-Dreikampf!
Die Broschüre der stolzen DB bescheinigte einem Langzug eine Dauerleistung von knapp 10.000PS, "soviel wie 250 Volkswagen". Das konnte man sich seinerzeit sicherlich richtig gut vorstellen: 250 VW-Käfer hintereinander gekuppelt auf dem Georg-Brauchle-Ring! Erst 1973 kam die Ölkrise.
Die Vorgaben und Leistungswerte für den Triebzug waren also vorgegeben. Es war die der Zeit für das Trainingslager gekommen. Da 1966 mit der Vergabe der Sommerspiele der Termin für den August 1972 feststand, war das Programm dicht gedrängt. 1969 verlegte der erste 420 seine Aktivitäten an die freie Luft. Es folgten bald zwei weitere Trainingspartner: 420 002 und 420 003. Ähnlich wie beim olympischen Fackellauf, führte ein nicht enden wollender Marathonlauf zum großen Ziel. Unzählige Stationen und Regionen durchliefen die drei Münchner zu Test- und Präsentationszwecken. Einige wenige seien hier genannt: Rhein- und Ruhgebiet, das Werdenfelser Land und die Semmeringbahn in Österreich. So sammelten die neuen Triebzüge schnell an Kilometern und die Techniker und Ingenieure ihrerseits Erfahrungen mit den 420.
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Die Baureihe 420 - der Olympiatriebzug 1972. Die frisch glänzenden Triebzüge liefen in jenen Tagen der Spiele zur Höchstform auf.
Die Bilder zeigen je einen 420 auf den Olympialinien als S5 in Daglfing und als S11 im Olympiabahnhof. Die Aufnahmen entstanden am Schlusstag, 11. September 1972.
Fotos:
Paul Müller
Schon ab 1971 durfte auch die eigentliche Zielgruppe, sog. "Fahrgäste", den 420 "erfahren". Die formschönen und lustig-bunten, im Popdesign der frühen siebziger Jahre lackierten Fahrzeuge kamen als "Olympiatriebzüge" sofort gut an. Neben dem unglaublich farbenfrohen Erscheinungsbild verblüffte die Bundesbahn noch mit einem Anflug von "Revolution". Ganz im Sinne des neugewählten Bundeskanzlers Willy Brandt, hieß es auch bei der DB auf einmal: "Demokratie Wagen". Bitte Wortwörtlich nehmen: In den S-Bahn-Wagen durften die Münchner Fahrgäste über die künftige Farbgebung abstimmen. Das Ergebnis konnte jedoch einem echten Revolutionär ála Rudi Dutschke nicht wirklich zufriedenstellen: Statt einem sozialistischen Karminrot oder einem knalligen "New-Age-Orange", entschied sich das traditionell konservative Wahlvolk für ein gestandenes "Bayrisch-Blau".
In der Rückschau darf man sich schon fragen, ob nicht doch damals (wie vielerorts) bei der Bundesbahndirektion gewisse Halluzinogene im Spiel waren, die sie so experimentierfreudig werden ließen. Schließlich gab es solche Dinge wie "Wahlen" bei der DB weder vorher noch nachher jemals wieder. Es folgte auch recht schnell eine Phase der Ernüchterung, denn bereits 1974 hatte es sich bei der DB schon wieder "ausgepoppt". Die lange "Entzugsphase" in ozeanblau-beige begann, wenn auch nicht für die 420.
Olympia 72 war ein buntes Fahnen- und Farbenmeer, wobei überall die hellen, poppigen Farben dominierten.
Da lag der 420 mit seiner kieselgrau-blauen Lackierung gar nicht so daneben und auch der Steuerwagen mit seinen Signal-Farbflächen in orange war ebenfalls dem Trend gefolgt.
Am 11. September 1972 warten 420 586 als S5 und ein Doppelwendezug der S25 auf ihre Rückleistungen nach Herrsching und Ostbahnhof.
Foto:
Paul Müller
Die Entscheidung zu kieselgrau-blau war allerdings gefallen. Es gab kein Zurück - vorläufig jedenfalls. Bis Ende der laufen Erprobungsphase 1972 wurden bereits die ersten 117 Serienfahrzeuge in den Münchner Wunschfarben ausgeliefert. Am 28. April gingen sie erstmals unter dem Zeichen der S-Bahn auf der neu eröffneten Stammstrecke an den Start. Mit dem herannahenden Termin der Sommerspiele wurde es dann noch einmal knapp:
120 Einheiten waren zur Durchführung des Olympiafahrplans im Münchner S-Bahnnetz notwendig. Die Fahrzeugindustrie kam noch rechtzeitig über die Ziellinie. Ein Zielfoto hätte 420 103 mit dem Abnahmedatum 21.08.1972 als Nr. 120 festgehalten, ganze fünf Tage bevor Edelhagens Big Band unter dem Zeltdach zum Einmarsch blies.
Das Betriebsprogramm für Olympia: Hochleistungssport
Dennoch war den Planern schon früh klar geworden, dass die S-Bahntriebzüge alleine nicht ausreichen würden. Für die Verkehrsspitzen zu den Veranstaltungen an den Wettkampfplätzen benötigte man weitere Kapazitäten, die mit Wendezügen abgedeckt werden sollten. An dieser Stelle bietet sich der Blick auf die damals anstehenden Verkehrsaufgaben und die gewählten Lösungen an:
Neben dem Olympiapark im Oberwiesenfeld als zentralen Austragungsort der Spiele, gab es noch weitere Wettkampfstätten im Nah- und Fernbereich Münchens.
Von größerer Bedeutung im Verkehrsaufkommen waren da die Regattastrecke bei Oberschleißheim (S1) und die Reitwettkämpfe in Daglfing, die über den Bahnhof Riem (S6) erreicht wurden.
Bei dieser Betrachtung bleiben die Segelwettbewerbe in Kiel, die Kanurennen in Augsburg, die Schießanlage nahe Garching, sowie weitere Einzelveranstaltungen im Lande außer betracht.
Das bestehende S-Bahnnetz musste auf diese Ereignisse möglichst effizient erweitert werden. Die S-Bahnen waren im stadtnahen Bereich bereits damals im 20 Min.-Takt unterwegs. Für den Olympiaverkehr wäre dieser Takt natürlich unzureichend gewesen. Anderseits konnte der Takt nicht ohne entstehende Kapazitätsprobleme bei Fahrzeugen und Trassen einfach beliebig verkürzt werden.
Neben dem Olympiaverkehr musste auch der bestehende S-Bahnverkehr in der Region mit hohen Kapazitäten betrieben werden um nicht das neu geschaffene Verkehrssystem ad absurdum zu führen. Schließlich war auch auf den Außenästen der S-Bahnlinien ein gewisser Fahrgastzuwachs während der Spiele zu erwarten (Stichwort: Herbergsunterkünfte). Die Fahrpläne sahen auch auf diesen Strecken Einsätze von Voll- und teilweise auch Langzügen bei verlängerten HVZ-Taktzeiten vor.
Für das Oberwiesenfeld sah das Betriebsprogramm folgendermaßen aus:
Eine S-Bahnsonderlinie S11 im 20 Min-Takt, betrieben mit 420, die vom Ostbahnhof über die Stammstrecke zum Olympiastadion gelangte.
Eine S-Bahnsonderlinie S25 im 20 Min.-Takt zur HVZ, betrieben mit extra-langen Wendezügen (sog. "Tatzelwurm" oder "Elefanten"), die ohne Halt zwischen Ostbahnhof und Olympiastadion über Milbertshofen führte.
Die S5 im 20 Min.-Takt, betrieben mit 420, die von Herrsching kommend über den Ostbahnhof hinaus verlängert wurde. Mit Halt an allen Stationen bis Johanniskirchen und dann weiter bis zum Olympiastadion.
Eine Reproduktion des Olympia Liniennetzes, das vom 26. August bis 11. September 1972 galt.
Nicht berücksichtigt sind die Verlängerung der S3 vom Ostbahnhof bis zum Bahnhof Riem (Reitwettbewerbe), sowie die Linie S21, welche nur an Regatta-Wettkamptagen nach zwischen Hauptbahnhof und Oberschleißheim zum Einsatz kam.
Es wurde also lediglich eine bestehende S-Bahnlinie an den Olympiabahnhof angebunden. Dabei war es kein Zufall, dass es die S5 betraf. Diese Linie befährt den einzigen Streckenast im westlichen S-Bahnnetz, welcher keinen Mischbetrieb ausweist. Verspätungen auf Grund "äusserer Einflüsse" konnten die 420 nicht in die Stadt tragen. Problemlos war aber auch diese Lösung nicht. Die S5 war auf dem größten Abschnitt seinerzeit noch eingleisig. Von Westkreuz kommend, war in Freiham bereits Feierabend mit der zweigleisigen S-Bahn-Herrlichkeit. Dennoch boten die anderen Streckenäste auf den Hauptabfuhrstrecken nach Nord und West, sowie die Strecke nach Tutzing keine wirkliche Alternative. Es kam also bei der S5 allein auf die Zuverlässigkeit der 420 in dieser Relation an. Mit insgesamt 5 Ausweichmöglichkeiten zwischen Freiham und Herrsching und den relativ schnellen Wendezeiten der 420 konnte der Eingleisigkeit ein Stück weit die Brisanz genommen werden. Zudem galt der 20 Min.-Takt nicht durchgehend bis Herrsching.
Englschalking am 10. September 1972. Nur in den olympischen Tagen war dieser Haltepunkt ein Teil der S5.
Die 420er auf dem Weg zwischen Herrsching und Olympiastadion S5 kommen an den neuen Bahnsteigen zum halten, die Züge der S25 fuhren generell durch.
Nach Olympia gab es in Englschalking zunächst keine S-Bahn mehr. Die Verlängerung der S3 kam erst ein Jahr später.
Fotos:
Paul Müller
Für die Reitturniere in Daglfing wurde die S3 vom damaligen Endpunkt Ostbahnhof nach Riem heraus verlegt. Damit verdichtete sich der Takt von 3 auf 6 Züge pro Stunde und Richtung. Der Bahnhof Riem hat mit 3 Bahnsteiggleisen, bei einem Insel- und einem Seitenbahnsteig bis heute die Kapazität für eine solche Verdichtung, auch mit Wendebetrieb.
Die S1 bediente mit seinen 420 seit Aufnahme des S-Bahnbetriebs im Mai 72 den neuerrichteten Bahnhof Oberschleißheim, der relativ verkehrsgünstig zur Regattastrecke im Nordwesten Münchens liegt. Mit Loks der Baureihe 141 vorgespannte Wendezüge verkürzten als Sonderlinie S21 an Wettkampftagen diese den Takt zwischen Oberschleißheim und dem Starnberger Flügelbahnhof an der Arnulfstraße in München. Wie bei dem Bahnhof Riem, so verfügt auch der Bf. Oberschleißheim über drei Bahnsteiggleise mit einem Insel- und einem Seitenbahnsteig. Der alte Bahnhof Schleißheim wurde bereits mit der Fertigstellung des neuen Bahnhofs und dem Beginn des S-Bahn-Zeitalters aufgelassen.
Mit diesen Maßnahmen standen zu den Hauptverkehrszeiten, vor und nach den Wettkämpfen, in Oberschleißheim und Riem 6 Zugpaare zur Verfügung. Im weitaus stärker frequentierten Oberwiesenfeld waren es 12 Zugpaare. Nach Maßgabe waren zu diesen Zeiten Langzüge einzusetzen. Damals auch für München eine noch nicht so oft gewährte Kapazität. Die fehlenden Erfahrungen mit einem solch angespannten Leistungsprogramm, welches von Mensch und Maschine dauernde Höchstleistungen forderte, machten die Eisenbahner durch eine hohe Motivation und enormes Engagement mehr als wett. Noch heute blicken die damals beteiligten Eisenbahner mit guten Erinnerungen und ein wenig Stolz auf diese besonderen Tage zurück. Der olympische Geist hatte auch die Menschen am Gleis erfasst.
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Die S25 war mit ihren gut 400 Meter langen Doppelwendezügen ein besonders beeindruckendes Augenschmankerl.
Die brandneuen Steuerwagen vom Typ BDnrzf 740 und die nicht minder taufrischen 140er boten dabei eine Bundesbahn-Leistungsschau der besonderen Art für das internationale Publikum.
Alle Bilder sind am Schlusstag, dem 11. September 1972 im Olympiabahnof und bei Daglfing entstanden.
Fotos:
Paul Müller
Die Wettkampfstätte der Bundesbahn: Der Olympiabahnhof
Das bereits erwähnte Schlagwort der "Spiele der kurzen Wege", welches das Konzept des Olympiaparks beschreibt, schloss natürlich auch die Verkehrsanbindungen ein. Der moderne Dreikampf für den Fahrgast in drei Disziplinen: Tram, U- und S-Bahn.
Tram
Die große Wendeschleife der Tram an der Ackermannstraße sollte die Verkehrsströme südlich des Olympiaparks auffangen. Was die "kurzen Wege" betrifft, so war dies für die Fahrgäste von allen Möglichkeiten der längste Weg zu den Spielstätten. Die Bahnhöfe der S- und U-Bahn liegen da schon näher.
U-Bahn
Der U-Bahnhof Olympiazentrum fing die Verkehrsströme im Osten des Parks ab. Der S-Bahnhof "Olympiastadion (Oberwiesenfeld)" liegt diesem am westlichen Rand des Parks gegenüber.
Während der U-Bahnhof mit der aus der Innenstadt kommenden Linie 3 auch für die postolympische Nachwelt gebaut worden war, blieb die Planung und der Bau des S-Bahnhofs ganz alleine auf das Großereignis ausgerichtet.
S-Bahn
An einer dauerhaft täglichen Bedienung dieses Kopfbahnhofs für den Fahrgastverkehr war wohl zu keiner Zeit ernsthaft gedacht worden. Während der zweiwöchigen Spiele hatte der mit zwei nicht überdachten Bahnsteigen ausgestattete Bahnhof seine Hauptaufgabe zu erfüllen. Die war, wie das oben beschriebene Betriebsprogramm verrät, sehr umfangreich.
Der Bahnhof war, das verrät schon der Name, alleine auf die Besucherströme vom und zum Olympiastadion ausgerichtet. Steht man auf dem Bahnhofsvorplatz mit seinem Spannbetondach, hat man zwar einen guten Blick auf die ehemalige olympische Pressestadt, dennoch gibt es keine Möglichkeit direkt zu diesen Häusern zu gelangen. Dieser Umstand und die Fußgängerbrücke zwischen Pressestadt und Olympiadorf, die sich zwar direkt über die Bahnsteige spannt und dennoch keine Zugangsmöglichkeit bietet, beweisen eindrücklich die konsequente Ausrichtung des Bahnhofs alleine auf das Stadion.
Die Wegstrecke vom Stadion bis zum S-Bahnhof ist gleich lang, wie der Weg vom Stadion zum U-Bahnhof. Für gehfaule Sportsfreunde sollte es keinen Unterschied machen, ob sie sich nun gen Westen oder gen Osten wandten. Die Besucherströme hätten sich also gleichmäßig verteilen sollen. Das war aber wohl nicht der Fall, wenn man sich auf die Aussagen von Zeitzeugen und einer Statistik aus dem EK Bericht von 1997 verlässt (letzterer berichtete von einem Verkehrsanteil von 22%). Die U-Bahn versprach eine kürzere Reisezeit zum Marienplatz und erhielt den größeren Zuspruch.
Dem Bahnhof Olympiastadion hatte es dadurch aber nicht an großen Besucherströmen gemangelt. Besonders dann wenn im Stadion große Wettkämpfe anstanden, oder gerade vorbei waren, wurde es auch auf den langen Bahnsteigen schon mal eng.
Die Bahnsteiglänge mit über 400 Metern erlaubte den Einsatz der oben erwähnten "Riesenzüge" der S25.
Es gestattete aber auch die Aufstellung von zwei Langzügen (!) an einer Bahnsteigkante.
Die "Jumbos", "Elefanten" oder "Tazelwürmer" der Sonderlinie S25 waren durch die 14 Silberlinge und der mittigen 140 so lang geraten, dass sie die ganze Länge der Olympiabahnsteige ausnutzten.
Der große Fahrzielanzeiger zeigt am Nachmittag des 11. September 1972 jedoch ein "Nicht einsteigen" nur für Gleis 1 an.
Foto:
Paul Müller
Die Hälfte der Bahnsteiglänge wurde bei der Gleisnummer mit einem zusätzlichen "a" gekennzeichnet. Jeder Bahnsteig besaß zwei Zugzielanzeiger. Die großen Zugzielanzeiger am vorderen Teil, nahe des Treppenaufgangs, wiesen je Gleisseite zwei übereinander liegenden Anzeigefelder auf.
Damit konnten mittels Fallblattanzeige zwei Züge pro Gleis angezeigt werden. Dazu war noch durch die voran angeschriebene Unterscheidung (z.B. "Gleis 1" oder "Gleis 1a") die Position im Bahnhofsbereich erkennbar. Im hinteren "a"-Teil der beiden Bahnsteige befanden sich pro Bahnsteig nochmals je ein Zugzielanzeiger. Diese zeigten mit nur einem Anzeigefeld pro Gleis lediglich die abfahrenden Züge in diesem Bereich an. Nur zur Olympia-HVZ war dieser Teil der Bahnsteige kurzzeitig mit Fahrgästen bevölkert.
Die zwei Bahnsteige waren während des Olympiaverkehrs weitgehend linienrein aufgeteilt. Der östliche Bahnsteig mit den Gleisen 1 und 2 war den Zügen der S5 und S25 vorbehalten. Die Riesenwendezüge der S25 kamen dabei zumeist auf Gleis 1 zum halten.
Beide Gleise enden neben der breiten Bahnhofstreppe an einem Prellbock.
Der westliche Bahnsteig mit den Gleisen 3 und 4 erlaubt dagegen das Ein- und Aussetzen in das südlich des Bahnhofs gelegene Auszieh- und Abstellgleis. Dieser Bahnsteig wurde vornehmlich von den Zügen der S11 bedient.
Zu den Zeiten eines besonders hohen Besucheransturms, wurde das Betriebsprogramm leicht modifiziert. Für alle Eventualitäten erlaubte der Gleisplan des Olympiabahnhofs eine Ein- und Ausfahrt von jeder Bahnsteigkante in jede Richtung des Nordrings.
Am Kopfende des östlichen Bahnsteigs befand sich hinter dem Prellbock von Gleis 2 unterhalb des Bahnhofsplatzes der Stützpunkt und Aufenthaltsraum der örtlichen Bahnhofsaufsicht.
Während der Spiele wurden hier mehrere Aufsichtsbeamte gleichzeitig im Schichtbetrieb eingesetzt. Sie hatten sich um die Fahrgastbetreuung, Information und um einen sicheren Ablauf des Geschehens im Bahnhofsbereich zu kümmern.
Betrieblich wurde der Bahnhof jedoch vom Fahrdienst in Milbertshofen ferngesteuert.
Der Bahnhof Olympiastadion (Oberwiesenfeld) offenbart erst bei näherer Betrachtung einige Eigenheiten in der Konzeption.
Der östliche Bahnsteig mit seinen Stumpfgleisen (hier mit einem Wendezug der S25 auf Gleis 1 und zwei 420 als S5 auf Gleis 2) bildete dabei einen klassischen Kopfbahnhof.
Sammlung: Gerhard Hauptmann
Im Betriebsablauf noch etwas leistungsfähiger erwies sich der westliche Bahnsteig mit seinen durchgehenden Gleisen.
Das Gleis 3 taucht zwischen den Bahnhofstreppen und neben dem Aufenthaltsraum unter den Bahnhofsvorplatz ab um dann in das neben dem Bahnhof entlang führende Gleis 4 einzuschwenken.
Damit konnten für die Spitzenzeiten Triebzüge in der dahinter liegenden Abstellung geparkt werden.
Hinzu kam noch eine Weichenverbindung zu einem neben den Bahnsteiggleisen liegenden Abstellgleis (Gleis 5).
Auch dieses Gleis konnte für Betriebszwecke von der nördlichen Weichenstraße vom Nordring kommend befahren werden.
Die Zuführung zum Nordring erfolgte durch zwei eingleisige Verbindungskurven, die sich gleich nach der letzten Weichenverbindung nördlich des Olympiabahnhofs in Ost- und Westrichtung trennten. Die Kurven samt Oberleitungsmasten und den beiden Brücken über der breiten Triebstraße existieren noch heute.
In einem ausführlichen Bericht in der EK-Reihe "Die Bundesbahn vor 25 Jahren" war in der 1997 erschienen Ausgabe über das Jahr 1972 zu lesen, das durch den engen Takt von drei S-Bahnlinien, der Güterverkehr weitgehend vom Nordring abgezogen werden musste. Desweiteren wird von täglich 348 Zügen im Grundverkehr zum Olympiabahnhof berichtet. Reisezüge im Sonderverkehr konnten bei diesem engen Takt nicht zum Olympiastadion durchgebunden werden. Das Konzept sah für diese Tage einen reinen S-Bahnverkehr vor. Reisende mussten am Haupt- oder Ostbahnhof in die S-Bahn umsteigen.
Erst in späteren Jahren beehrten diverse Sonderzüge aus Nah und Fern den Olympiabahnhof zu besonderen Anlässen. Dem Autor ist ein Foto bekannt, das die damalige Baureihe 403/404 (späterer Lufthansa Airport Express) am Oberwiesenfeld zeigt. Während der olympischen Spiele existierte im übrigen für den Sonderreiseverkehr (sog. "Quartierverkehr") ein Bahnsteig im Bahnhofsbereich von Milbertshofen am Nordring. Außerdem gelangten Reisezüge im Sonderverkehr von dort sogar bis zum alten Schwabinger Bahnhof, südlich des Nordrings.
Schlussfeier - Auch für den Olympiabahnhof
Die S-Bahn sollte am 10. September letztmalig die Gäste der fröhlichen, bunten Spiele von München zu den Schauplätzen bringen. Doch diese friedlichen, stimmungsvollen Spiele waren schon am 5. September vorbei gewesen.
Die unfassbaren Ereignisse an jenem Tag und die eintägige Aussetzung der Spiele, führte zu einem Betriebstag mehr im Oberwiesenfeld.
Nach der Schlussfeier am Abend des 11. September im Olympiastadion, gingen nach Ausfahrt des letzten Olympiazugs die Lichter am Bahnhof Oberwiesenfeld aus.
Damit hatte diese Anlage bereits in der Hauptsache ihre Schuldigkeit getan. Über die Jahrzehnte, bis 1988, hatte der Bahnhof noch so manchen Glanzpunkt erlebt. Seien es nun die Fußball-Weltmeisterschaft 1974, ein Papstbesuch, oder z.B. div. Leichtathletikmeisterschaften. König Fußball sorgte aber noch am fleißigsten für gelegentliche Kundschaft. In den 80er Jahren richtete die DB sogar zu jedem Heimspiel des FC Bayern die (damalige) S8 als Sonderlinie zum Stadion ein. Obwohl, wie erwähnt, die U-Bahn nunmehr die Hauptlast der Verkehrströme zum Olympiagelände schulterte, hatte die S-Bahn durchaus einen regen Zulauf (oftmals unter Fans als "Geheimtipp"). Dennoch wollte die DB keine großen Investitionen in ein Provisorium stecken, das für längst vergangene Ereignisse erstellt worden war.
So holten zur Fußball EM 1988 die 420 ihre Schlussfeier auf dem Olympiagelände nach. Der Bahnhof wurde für den Fahrgastverkehr dauerhaft gesperrt, dennoch sollen sich bis zum Abbau der Fahrleitung hin und wieder besondere Fahrzeuge im Bahnhofsbereich blicken haben lassen. Auch 420 wurden hier gesichtet. Desweiteren parkte die DB gerne überschüssige Wagengarnituren auf dem ausgedehnten Gleisfeld.
Der alte Olympiabahnhof, oder was davon übrig geblieben ist: Bauerwartungsland für den Transrapid. München am 18. August 2007.
Foto: Dirk Mattner
Auch damit war es dann mit Bau der U3 zum Olympia-Einkaufzentrum endgültig vorbei. Heute kann man sich die traurigen Fragmente dieses Kapitels Münchner Eisenbahngeschichte noch anschauen. Sollte es der Bayerischen Staatsregierung gelingen, die fehlenden Millionen für den Flughafen-Transrapid aufzutreiben, so wird voraussichtlich im Bereich des ehemaligen Bahngeländes die Tunnelrampe für den Flitzer entstehen.
Und dabei ging es doch jetzt erst richtig los
Das Feuer war erloschen und die Fahne wieder eingeholt. Olympia war vorbei.
Es schien als sei alles verflogen.
Dabei hatte München doch durch Olympia dauerhaft gewonnen.
Gerne wird bis heute davon erzählt, dass U- und S-Bahn in München nur wegen der Olympischen Spiele gebaut worden wären. Dabei wird übersehen, das die Pläne zum Bau der sogenannten "Verbindungsbahn" zwischen Haupt- und Ostbahnhof und die Errichtung eines U-Bahn Netzes bereits ein paar Jahre zuvor verabschiedet wurden. Olympia sorgte jedoch dafür das U- und S-Bahn endlich aus den Startlöchern kamen.
So hatte das postolympische München des 12. September 1972 auch viel gewonnen. Von diesem Gewinn profitiert die Stadt noch heute. S- und U-Bahn haben in den folgenden Jahren nochmals eine rasante Entwicklung erfahren - wie auch die gesamte Stadt, samt Umland.
Die Fahrgastzahlen, die während der Spiele natürlich wesentlich höher als Gewöhnlich waren, sind heute schon längst wieder Alltag in der Stadt, die seit dem Aufbruch für Olympia bis heute nur noch expandiert.
Eine Erfolgsgeschichte, die auch schon wieder eine Medaille wert wäre.
Die Geschichte des "Olympiatriebzugs" endete dagegen vor bald drei Jahren in dieser Stadt, die jahrzehntelang in den Augen vieler Menschen in enger Verbindung mit dieser Baureihe stand. Immerhin: Es gibt noch genau ein Exemplar von den damals 120 vorhandenen Triebwagen. Aber dieser ist nicht, wie man es von einem Münchner Olympiazug erwartet, blau-weiß.
Es ist 420 001, der noch zu Sonderfahrten startet. Allerdings nicht mehr zum MOLY, München Olympiastadion - Oberwiesenfeld.
Besonderen Dank an:
Paul Müller
Gerhard Hauptmann