Mit dieser kleinen Flash-Animation sagt die Baureihe 420 "tschüss" zur Werbung. Seit einigen Monaten sind auch die letzten beiden 420er werbefrei: Die Plochinger Fahrzeuge 420 431 (Wohnland Backnang) und 420 432 (Bernhauser Bank) sind nun auch vom Kommerz befreit.
Zuvor war über Jahrzehnte die Außenwerbung ein treuer Begleiter vieler ET420.
Fotos von Harald Bosch, Manuel Gründler, Dirk Mattner, Michael Sauer, Harald Schulz und Markus O. Robold
Es ist doch faszinierend wie manchmal die Dinge doch entgegen des angenommenen Trends laufen. So wird seit Jahrzehnten die zunehmende Kommerzialisierung in unserer Gesellschaft beklagt. Das Fernsehen sendet soviel Werbung wie noch nie. Beliebte Samstagabendshows verkommen zu Dauerwerbesendungen. Im Kino läuft kaum noch ein Film, bei dem einem nicht alle paar Minuten eine Produktmarke vor den Latz geknallt wird. Das einstmals so unabhängige Internet sorgt bei fast jedem Klick für Werbefrust durch Banner und PopUps. Die Straßen sind voller Werbung. Zur Kommerzialisierung kann auch die Privatisierungswelle des Staates gezählt werden. Wohnungen, Strom, Gas werden zum Spekulationsobjekt privatisierter Gesellschaften, die früher einmal der öffentlichen Hand gehörten. Die Lufthansa, die Post und nun auch die Bahn sollen in den Wettbewerb. Das dieser für noch mehr Werbung sorgt, wird dabei billigend in Kauf genommen. Und so machen sie alle Werbung wie noch nie zuvor...
Moment, machen das wirklich "alle"?
Nein! DB Regio, eine Teilgesellschaft der Deutschen Bahn gewöhnt sich gerade das Werben ab. Das gilt natürlich nicht für die Eigenwerbung, doch ansonsten ist das gewohnte Bild der Außenwerbung an S-Bahnen nahezu aus dem Alltag verschwunden.
Wird DB Regio sozialistisch? Rot ist sie ja bereits. Im Sozialismus hatte Werbung einen geringen Stellenwert. In der DDR wurde sie in den Anfangsjahren noch als Gegenpol zum ungehemmten Kommerz des Westens gepflegt. Später war Werbung kaum noch nötig, da es zumeist zu jedem Produkt nur noch eine Marke gab. Werbung auf Zügen der Reichsbahn suchte man so zumeist vergebens. Wozu auch? Es wurde höchstens "Eigenwerbung" für die sozialistische Sache gemacht.
So macht es DB Regio mittlerweile auch. In seltenen Fällen kann schon mal ein Logo (z.B. das der Fußball-Weltmeisterschaft) oder ein Hinweis auf ein eigenes Produkt an den Fahrzeugen prangen. Aber wenn, dann nicht lange und dann auch nur sehr dezent. Ansonsten geben die Nahverkehrszüge ein uniformes Bild in verkehrsrot ab.
Und hier ist dann doch die versteckte Botschaft des Kommerzes. Denn DB Regio hat nicht aus Gründen gesellschaftspolitischer Verantwortung, im Sinne einer "Entkommerzialiserung" unseres Lebens so gehandelt. Im Gegenteil: Durch die Tilgung jeglicher fremder Werbung von ihren Fahrzeugen, möchte sie ihr Produkt in den Vordergrund stellen.
Jetzt könnte man sagen: "So ein Quatsch! Als ob wir nicht wüssten was eine S-Bahn oder eine Regionalbahn ist!"
Wieder falsch! Es geht nicht um die Bewerbung ihrer Produktmarken, sondern nur um das Produkt "DB Regio" selbst. So hat DB Regio mit der Umlackierung aller S-Bahnfahrzeuge in verkehrsrot den besonderen Status des Produktes "S-Bahn" sogar geschwächt.
Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, das die S-Bahn immer ein besonderes Verkehrsmittel in der Produktpalette der Eisenbahn war. Sowohl die Deutsche Bundesbahn, wie auch die Reichsbahn der DDR unterstrichen diese Besonderheit zumeist durch ein eigenes Farbschema für S-Bahn Fahrzeuge.
Bei der DB setzte sich dabei über die Jahre vor allem die Farbe orange als Markenzeichen des Schnellbahnverkehrs durch. Dieses über die Jahre erworbene (positive) "Image" würde nun jeder PR-Berater versuchen zu Hegen und Pflegen.
Nicht so bei der privatisierten Bahn. Deren Marktstrategen maßen den Wert des Produkts "S-Bahn" nicht so hoch, wie den zu schaffenden Wert ihres Namens "DB Regio".
Zwar können bis heute nur wenige Menschen mit dem Namen "DB Regio" etwas anfangen, doch die meisten wissen das die Regionalzüge der Deutsche Bahn an ihrer roten Farbe zu erkennen sind.
Und genau darum geht es. Die so genannte "Coporite Identity" (kurz: CI), also der Wiedererkennungswert ihrer Züge beim Kunden ist der Bahn enorm wichtig.
Diesem Grundsatz sind alle anderen Dinge unterzuordnen.
Und so wurde im ersten Schritt bestimmt, das alle Züge von DB Regio in verkehrsrot zu lackieren seien. Im zweiten Schritt war zu beachten, dass das neue CI durch nichts und niemanden gestört werden darf. Und so sorgt das verkehrsrote Zeitalter bei der Bahn gleichzeitig für ein werbefreies Zeitalter.
Der Blick auf die Baureihe 420 verdeutlicht das sehr anschaulich. Im Jahre 1996 war Werbung auf den meisten Fahrzeugen präsent. Dabei hatte der Trend zur zunehmenden Kommerzialisierung (wir erinnern uns) für immer buntere Facetten gesorgt. Vor Zehn Jahren waren schon einige S-Bahnfahrzeuge in Deutschland unterwegs, die mit Ganzreklame ausgestattet waren. Die Züge waren vollständig mit der Botschaft des zahlungskräftigen Werbekunden beklebt worden. Damit verschwand damals an diesen Fahrzeugen die noch weit verbreitete "S-Bahn CI" mit der Farbe orange (wir erinnern uns) unter der Werbefolie.
Schon 1997 kam die Farbe verkehrsrot bei den ersten 420 zur Anwendung. Damit erhielt diese Baureihe zum ersten mal eine Lackierung die nicht auf das Produkt "S-Bahn" hinwies. Und was auch recht bald auffiel, war die Tatsache dass man Werbung auf den Fahrzeugen mit dem neuen Farbschema kaum sah. Zwar gab es diese auch (München: "Gartencenter Seebauer", Frankfurt: "Brillen Bouffier"), doch wurden in der Regel eher solche Fahrzeuge mit neuer Werbung beklebt, die noch nicht in verkehrsrot lackiert waren.
Der neue Kurs wurde ab 2000 immer deutlicher, als die Zahl an Fahrzeugen mit gelöschter Werbung höher lag als die mit neu beklebter Werbung. DB Regio gab wenig später das Vorhaben auch öffentlich zu verstehen. Neue Werbekunden bekamen nur noch Verträge mit kurzen Laufzeiten. So wurden z.B. im Frühling 2001 noch mal Münchner 420er mit lila-blauer Ganzreklame für die Bayerische Versicherungskammer ausgestattet. Noch im gleichen Jahr verloren die Triebzüge die teure Folie schon wieder.
Im Jahr 2002 gab DB Regio dann die Losung aus, das bis zum Ende des Jahres alle S-Bahnfahrzeuge in verkehrsroter Farbe lackiert sein müssten. Das Ziel konnte nicht vollständig erreicht werden, dennoch hatte diese Vorgabe für eine erhebliche Beschleunigung des Vorhabens gesorgt.
So viele 420 wurden in solch kurzer Zeit wohl noch nie zuvor umlackiert. Auch solche kamen in die Spritzkammern, die nicht einmal mehr ein Jahr mit dem neuen Lack unterwegs sein sollten. Die S-Bahn Rhein/Main konnte sogar am Ende des Jahres 2002 die vollständige Umlackierung des gesamten Bestandes melden. In Plochingen ließ man sich mehr Zeit und in München wartete man lieber die Fristabläufe der 420 und die Neuzugänge der verkehrsroten 423 ab.
Die Werbung nahm dennoch weiter an allen Fahrzeugen von DB Regio ab. In Frankfurt entledigte man auch die letzten beiden verkehrsroten 420 mit der "Bouffier" Werbung ihrer Folie. Ende 2003 wäre auch Stuttgart durch die vollständige Umlackierung aller 420 werbefrei geworden, wenn nicht zur Eröffnung der S2-Verlängerung nach Filderstadt noch mal zwei Schwenktürer mit Werbung beklebt worden wären. Während bei 420 432 als Eröffnungszug mit der Werbung für die "Bernhauser Bank" noch ein Bezug zu dem Ereignis herzustellen war (Bernhausen ist der Ortsteil von Filderstadt, zu dem die S-Bahn verlängert wurde), fragt man sich bis heute wie es dem "Teppichland" in Backnang gelungen war mit ihrer Werbung auf 420 431 nochmals landen zu können.
Diese beiden 420 waren Anfang dieses Jahres die letzten Fahrzeuge dieser Baureihe, die noch mit ihrer Werbung spazieren fahren durften. Jetzt ist allerdings auch Stuttgart werbefrei. Und wer sich in Deutschland umschaut, der wird lange suchen müssen, bis er noch eine Werbung auf einem Fahrzeug von DB Regio erblicken kann.
So ist DB Regio also tatsächlich schon fast am Ziel seiner Träume angekommen. Ob sich die nun bald schon zehn Jahre währende Anstrengung gelohnt hat? Wie argumentiert man, wenn die potentiellen Werbekunden mit den Geldscheinbündeln wedeln? Wie stark müssen da die zuständigen Stellen gegen den inneren Schweinehund des Kommerzes ankämpfen? Es wird wohl deren (Betriebs-)Geheimnis bleiben.
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